Medikation

Nachfolgend möchte ich über einige Medikamente informieren, die bei der ALS zum Einsatz kommen.

Riluzol

Was ist Riluzol?

Für ALS gibt es bislang nur ein zulässiges Medikament mit Namen Riluzol, dass sich in Form einer moderaten Verlangsamung auf den Krankheitsverlauf auswirken kann. Die pharmakologische Substanz Rilutek wurde in Frankreich bei Rhöne-Poulenc Rorer Anfang der 1990er Jahre von einem Pharmaunternehmen entwickelt. Die Substanz hemmt und reduziert die Konzentration des Botenstoffs Glutamat, der sich zwischen den motorischen Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark befindet. Glutamat tritt bei der ALS in zu hoher Konzentration in den Synapsen des motorischen Nervensystems auf, unabhängig von der Nahrungsaufnahme, so die Vermutung von Medizinern und Forschern.

Wie wurde Riluzol entwickelt?

Rilutek wurde in zwei kontrollierten klinischen Doppelblind Studien mit über 1100 ALS Patienten zu Beginn der 1990er Jahre getestet. Das Ergebnis zeigte eine Wirksamkeit der Substanz im Bezug auf ALS. Die beiden Studien wurden am Pariser Hospital Pitle Salpetriere koordiniert, wo auch bereits der Entdecker der ALS Jean Martin Charcot über einhundert Jahre vorher gewirkt hat. In der ersten Studie mit 155 Patienten erreichte man eine Verlängerung der Lebenszeit um etwa drei Monate, was heute auch grundsätzlich noch als durchschnittliche Wirkung aufgrund der Einnahme von Riluzol beschrieben wird. In einer zweiten Studie erfolgte der Einschluss von 959 Patienten mit klinisch wahrscheinlicher oder gesicherter ALS. In dieser Studie wurden den Teilnehmern täglich 50, 100 oder 200 mg Riluzol oder Placebo oral verabreicht. Bei den mit 100 mg behandelten Teilnehmern war die Mortalitätsrate nach 18 Monaten Behandlungszeitraum um 35 % geringer als bei den Placebo Patienten. Dies wurde später auf einem europäischen Neurologen Kongress in den Den Haag von Prof. Vincent Meiniger aus Paris berichtet. 100 mg Riluzol ist auch heute die reguläre und empfohlene Dosis. Die Wirkung von Riluzol blieb in der zweiten Studie über einen Behandlungszeitraum von 18 Monaten stabil. Nach Berichten von Prof. Theodore Munsat aus Boston konnte unter Analyse dieser großen ALS Studie festgestellt werden, dass Patienten unter Einnahme von Rilzuol länger in den frühen Krankheitsstadien verbleiben. Diese Erkenntnis wurde 1995 in den USA und Europa mit der Zulassung des Medikaments honoriert. Aufgrund des neuroprotektiven Effekts wird eine frühzeitige Einnahme von Riluzol im Krankheitsverlauf empfohlen. Neuen Studie zufolge kann eine möglichst frühe Einnahme von Riluzol einen Überlebensvorteil von mindestens 12 Monaten bewirken.

Wie wird Riluzol eingenommen?

Riluzol wird täglich zweimal, jeweils morgens und abends in Form von Tabletten eingenommen. Bei Schluckstörungen des ALS Erkrankten oder im Falle einer Ernährungssonde wird Riluzol in flüssiger Form (Riluzol Suspension) verabreicht.

Ist die Einnahme von Riluzol mit Nebenwirkungen verbunden?

Nebenwirkungen treten nur im Ausnahmefall und dann auch zu Beginn der Medikation in Form von z. B. Unwohlsein, Hautveränderungen, Übelkeit, Ermüdbarkeit, Schwindel auf. Insgesamt ist das Medikament sehr gut verträglich.

Bei mir wurde Riluzol sofort nach der Diagnose im November 2018 verordnet und ich nehme das Medikament seitdem täglich. Während der Medikamentenstudie REFALS, an der ich 2019-2020 teilgenommen habe, musste die Einnahme glücklicherweise nicht unterbrochen werden. Ich habe seit der Verordnung keine Nebenwirkungen verspürt.

Edavarone

Was ist Edavarone?

Edavarone ist ein antioxidativer und neuroprotektiver Wirkstoff aus der Gruppe der Antioxidantien, der für die Behandlung der ALS zum Einsatz kommt. Das Arzneimittel wird als intravenöse Infusion verabreicht. Das Medikament kann bei einer Untergruppe von Erkrankten unter Voraussetzung bestimmter klinischer Merkmale den Verlauf der Krankheit verlangsamen. Bei Erkrankten, die diese spezifischen Merkmale nicht erfüllen, kann eine Wirksamkeit des Medikaments nicht nachgewiesen werden.

Wie wurde Edavarone entwickelt?

Der Wirkstoff wurde in Japan vom Pharmaunternehmen Misubishi Tanabe Pharma Corporation entwickelt und ist seit 2015 in Japan und Südkorea zugelassen. Im Mai 2017 erfolgte auch eine Zulassung des Wirkstoffes in den USA unter dem Handelsnamen Radicava. Diese drei Zulassungen erfolgten aufgrund von 2 klinischen Studien aus Japan. In der ersten Studie MCI-186-16 war der Wirkstoff im Ergebnis in der Gesamtpopulation der eingeschlossenen ALS Patienten nicht wirksam. Die Erkenntnisse einer Subgruppenanalyse zeigten, dass der Wirkstoff das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen kann. Allerdings nur bei Vorliegen bestimmter klinischer Merkmale beim Erkrankten. Zu den Merkmalen zählen u. a. eine gute Atemfunktion, eine Erkrankungsdauer von weniger als zwei Jahren sowie eine geringe bis mittlere Krankheitsprogression. In der zweiten Studie MCI-186-19 wurden diese Merkmale als Einschlusskriterien der Studie festgelegt. In einer Behandlungsdauer von 24 Wochen wurde eine statistisch signifikante Verlangsamung der Krankheitsprogression in der Edavarone Gruppe im Vergleich zur Placebo Gruppe um 30 % festgestellt. Dies konnte mit Hilfe der ALS Functional Rating Scale (ALS FRSr) ermittelt werden, einer international etablierten Skala zur Erfassung der ALS Erkrankungsschwere. In dieser Skala werden zwölf motorische Funktionen (Subskalen) bewertet, die bei der ALS beeinträchtigt sind.

Wie wird Edavarone verabreicht?

Edavarone wird einmal täglich in Form einer 60-minütigen Infusion in dafür geeigneten Praxen, Kliniken oder Ambulanzen verabreicht. Die ALS Erkrankten werden in vierwöchigen Therapiezyklen behandelt. Der erste Behandlungszyklus erfordert 14 Tage lang einmal täglich eine Infusion. Danach folgt eine Therapiepause von 14 Tagen. Der zweite Behandlungszyklus umfasst ebenfalls 28 Tage. Hier wird jedoch nur in den ersten 10 Tagen jeweils einmal täglich eine Infusion verabreicht. Der Erkrankte muss bei der Erstgabe der Medikation in einer stationären oder tagesklinischen Einrichtung kontinuierlich überwacht werden. Die Behandlung erfordert einen hohen zeitlichen und logistischen Aufwand.

Ist die Einnahme von Riluzol mit Nebenwirkungen verbunden?

Die Nebenwirkungen von Edavarone sind von großer Bedeutung, wie z. B. Prellungen, Gangstörungen, Kopfschmerzen und Blutergüsse. Nach Beendigung der Infusion sind lebensbedrohliche, allergische Reaktionen auf den Wirkstoff oder auf den Hilfsstoff Natriumbisulfit möglich. Dies äußert sich in Symptomen wie Urtikaria, Schwellungen in den Atemwegen und Atemnot.

Kann man mit Edavarone in Deutschland behandelt werden?

Eine Zulassung von Edavarone liegt in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor. Grundsätzlich kann man dieses Medikament aber als Import über internationale Apotheken aus Japan bekommen und somit kann dieses Medikament auch grundsätzlich verabreicht werden. Die sozialrechtlichen Bedingungen, dass private und gesetzliche Krankenkassen die Kosten auf Antragbasis übernehmen könnten, sind vorhanden. Edavarone ist ein sehr komplexes Medikament, dessen Behandlung eine gezielte Entscheidungsfindung erfordert. Am 12. Juli 2017 trafen sich Vertreter von führenden ALS Behandlungszentren in Deutschland, um eine Handlungsempfehlung und eine Bewertung für eine Edavarone Behandlung zu erarbeiten. Teilnehmer dieses Treffens waren Prof. Dr. Albert Ludolph (Universitätsklinikum Ulm), Prof. Dr. Thomas Meyer (Charité Berlin), PD Dr. Patrick Weydt (Universitätsklinikum Bonn), Dr. Torsten Grehl (Alfried Krupp Krankenhaus Essen), PD Dr. Julian Grosskreutz (Universitätsklinikum Jena), Prof. Dr. Susanne Petri (Universitätsklinikum Hannover) und PD Dr. Joachim Wolf (Diakonissenkrankenhaus Mannheim). Es wurde festgelegt, dass die Betrachtung und Berücksichtigung der derzeitigen Studienlage für eine individuelle Entscheidung zu einer Edavarone Behandlung von hoher Bedeutung ist. Ein Effekt auf die Lebenszeit des Erkrankten wurde noch nicht untersucht. Um die Wirksamkeit von Edavarone näher zu ermitteln, sind weitere klinische Studien erforderlich, um das Medikament in der Langzeitbehandlung, verschiedenen Krankheitszuständen oder anderen Krankheitsverläufen zu testen. Die Wirksamkeit des Medikaments ist mit dem Aufwand der Verabreichungsform und dem damit verbundenem zeitlichen und logistischen Aufwand genau abzuwägen. Die Entscheidung ist mit den Fachärzten der Neurologie, die auf ALS spezialisiert sind, gemeinsam abzuwägen und zu treffen. Der Hersteller von Edavarone aus Japan hatte im Juli 2018 eine Zulassung des Medikaments bei der Europäischen Arzneimittelbehörde beantragt. Neben Japan, USA und Südkorea ist in den Ländern Kanada und der Schweiz inzwischen die beantragte Zulassung erteilt worden. Die Arzneimittelbehörde der europäischen Union hat sich in einer ablehnenden Bewertung gegenüber dem Medikament positioniert. Die Studien entsprechen nicht den EMA Leitlinien zur Zulassung neuer ALS Medikamente. Zum Teil fehlt das Verständnis und es gibt Kritik an dieser Entscheidung. Der Hersteller aus Japan hat 2018 daraufhin den Zulassungsantrag zurückgezogen.

Neue Edavarone Studie in Deutschland 

Mittlerweile ist eine neue Studie (MT 1186-A01) zu Edavarone in Deutschland mit einer Dauer von 48 Monaten gestartet. Wirksamkeitskriterien der Studie sind das Erreichen einer Krankheitsverlangsamung, ermittelt am Verlauf der ALS Funktionsskala (ALS-FRS) und die Überlebenszeit. Zusätzliche Parameter die bei der ALS von Bedeutung sind, wie z. B. Gewicht und Vitalkapazität, werden ebenfalls untersucht. Ein entscheidender Unterschied zu den bisherigen Studien ist, dass Edavarone nicht per Infusion, sondern in oraler Form als Suspension in flüssiger Form verabreicht und getestet wird. Die Durchführung der Studie erfolgt ohne Placebo und Edavarone wird in Kombination mit Riluzol getestet. Die Studienteilnahme umfasst 7 ambulante Termine in einem Zeitraum von zwei Jahren.

Ich habe mich 2018 bewusst gegen eine Behandlung mit Edavarone entschieden, da mir die Nebenwirkungen zu hoch und die Wirkung nicht ausreichend erforscht war. Des Weiteren war mir der logistische Aufwand der Verabreichung mittels Infusion zu hoch. Ich hätte dann nicht mehr noch ein ganzes Jahr arbeiten gehen oder andere Aktivitäten ausführen können, was mir noch viel Lebensqualität ermöglicht hat. Ich habe mich dann lieber für die Teilnahme an einer Medikamentenstudie entschieden.

Weitere, nicht ALS spezifische Medikamente zur Behandlung von Symptomen

Symptomlindernde Medikamente sind nicht nur für ALS vorgesehen, sondern werden auch bei anderen Erkrankungen eingesetzt. Der Einsatz muss immer von den ALS Spezialisierten Fachärzten der Neurologie bestimmt werden.

Bei einer Beeinträchtigung des Schluckens kommt es zu einer Ansammlung von Speichel in Rachen und Schlundbereich. Verschiedene Medikamente wie z. B. Pirenzepin oder Atropin können hier helfen, da sie eine Mundtrockenheit hervorrufen.

Aufgrund motorischer Enthemmung kann es bei ALS Patienten zu unkontrolliertem Lachen oder Weinen kommen. Hier kommen verschiedene Medikamente wie z. B. Citralopram zum Einsatz.

Die Diagnose ALS bedeutet eine große psychische Belastung. Hier können innere Unruhe. Ängste und depressive Reaktionen beim Erkrankten entstehen. Verschiedene Medikamente wie z. B. Mirtazapin können hier verabreicht werden.

Im Krankheitsverlauf kann es aufgrund der psychischen Belastungen und motorischen Einschränkungen zu Schlafstörungen kommen. Auch hier stehen verschiedene Medikamente, je nach Ursache der Schlafstörung zur Verfügung.

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